03.08.2025

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Chinas Klassiker als Geschenk für die Österreichische Nationalbibliothek

01.03.1989
Frau Dr. Magda Strebl (3.v.l.) zeigt Prof. Chin Hsiao-yi (links) die in der Österreichischen Nationalbibliothek befindlichen chinesischen Werke, darunter auch das aus der Ming Dynastie stammende Ming ch'ao shan pen shu (明朝繕本書).

In einem feierlichen Festakt übergab der Direktor des Nationalen Palastmuseums in Taipei, Professor Chin Hsiaoyi, der Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek, Frau Dr. Magda Strebl, eine Faksimile Ausgabe der berühmten chinesischen Klassikersammlung Ssu-k'u ch'üan-shu hui-yao (四庫全書薈要).

Damit war die Österreichische Nationalbibliothek eine der wenigen auserwählten ausländischen Bibliotheken, die die von Kaiser Ch'ien-lung (1736-1795) in der Ch'ing Dynastie in Auftrag gegebene Sammlung klassischer chinesischer Bücher besitzt. Außer Wien wurden ähnliche Faksimile-Ausgaben des Nationalen Palastmuseums nur an den Vatikan und die Universität Oxford übergeben.

Wien schätzt sich glücklich, als einzige Stadt Mitteleuropas dieses Geschenk erhalten zu haben, und trug diesem hohen Anlaß mit einer würdevoll gestalteten Feierstunde im Prunksaal der Nationalbibliothek Rechnung. Unter der 30 Meter hohen Kuppel des wohl schönsten barocken Bibliotheksaals der Welt hatten sich die Vertreter des geistigen Österreich versammelt, um das Geschenk entgegenzunehmen. Die Generaldirektorin der Nationalbibliothek, Frau Dr. Magda Strebl, freute sich den Überbringer des Geschenkes, Professor Chin Hsiao-yi, im Beisein des österreichischen Bundesministers für Wissenschaft und Forschung, Professor Dr. Hans Tuppy, im Prunksaal der Bibliothek, welcher zur gleichen Zeit von dem bedeutensten österreichischen Barockarchitekten Johann Bernhard Fischer von Erlach erbaut, in der die Sammlung der chinesischen Klassiker ediert worden war, begrüßen zu dürfen.

Zu den Ehrengästen aus der Republik China zählten auch der Abgeordnete der Nationalversammlung, Liou Jieh-jow, und der Direktor des Instituts für chinesische Kultur in Wien, Tu Yuan-fang. Das österreichische Außenministerium war durch den Leiter der Kulturabteilung, Botschafter Dr. Stillfried, das Wissenschaftsministerium durch Sektionschef Dr. Johann Marte und Ministerialrat Dr. Carl Blaha als oberster Hüter der österreichischen Museen vertreten. Zahlreiche Museumsdirektoren waren gekommen, um dem hohen Gast aus der Republik China ihre Reverenz zu erweisen.

Frau Dr. Strebl umriß in kurzen Zügen die Entstehung der Österreichischen Nationalbibliothek, die ähnlich dem Nationalen Palastmuseum in Taipei, in einer kaiserlichen Sammlung ihren Ursprung fand. Das Haus Habsburg sammelte bereits seit dem frühen Mittelalter Bücher und Schriften. Kaiser Maximilian I.(1493-1519), der "letzte Ritter" am Tor zur Neuzeit, trat auch als Autor in Erscheinung.

Der heutige barocke Prunkbau der Nationalbibliothek wurde erst nach den Wirren der zweiten Türkenbelagerung Wiens gemäß den Plänen Johann Bernhard Fischers von Erlach unter Kaiser Karl V. (1711-1740) erbaut. Ihr Herzstück, der Prunksaal, in dem die Buchübergabe am 14. ovember 1988 stattfand, diente mit seinen 77 Metern Länge, einer Breite von 29 Metern und einer Höhe von 19 Metern als Buchmagazin, Verwaltungsbüro und Lesesaal. Heute ist er ein Schaustück, das die gesamte Bibliothek des Prinzen Eugen von Savoyen, dem Sieger über die Türken im 18. Jahrhundert, beherbergt. Mit seinen braunen Holztäfelungen, dem reichen Goldschmuck und dem allegorischen Deckenfresko von Daniel Gran ist er nicht nur ein architektonisches Meisterwerk der Barockzeit, sondern eignet sich auch hervorragend als Konzertsaal, in dem auch Mozart schon dirigierte.

Originale des 36 381 Bände umfassenden Ssu-k'u ch'üan-shu, das vom Ch'ing Kaiser Ch'ien-lung in Auftrag gegeben wurde.

Als die kaiserliche Hofbibliothek 1726 vollendet war, umfaßte sie 90 000 Bände. Heute befinden sich im Prunksaal neben den 15 000 Büchern der Eugenschen Sammlung 175 000 Bände, ein Zehntel des Gesamtbestandes der Österreichischen Nationalbibliothek, die mit ihren zwei Millionen Büchern zu den größten Bibliotheken der Welt zählt. Besonders reich ist ihr Bestand an Wiegendrucken (7 866) und Manuskripten (65 821). Heute besteht die Hauptaufgabe der Bibliothek im Sammeln alles Geschriebenen in Österreich, denn von jedem Buch muß eine Kopie in der Bibliothek hinterlegt werden. Aus dem Ausland werden Bücher und Druckwerke auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften und der Geschichte der Naturwissenschaften gesammelt. Andere Wissensgebiete sind den Österreichischen Universitätsbibliotheken vorbehalten. Die Österreichische Nationalbibliothek ist in mehrere Abteilungen gegliedert, wovon als wichtigste die Sammlung gedruckter Bücher, die Handschriftensammlung, die Musikaliensammlung, die Sammlungen geographischer Karten, ägyptischer Papyri, die Portraitsammlung oder das Archiv dokumentarischer Photonegativa sowie die Theatersammlung hervorzuheben sind.

Frau Dr. Strebl wies auch auf den Ankauf der Sinica-Bibliothek des ehemaligen österreichischen Gesandten in Peking, Prof. Dr. Arthur Rosthorn im Jahre 1949 hin.

Sektionschef Dr. Marte zitierte in seiner Ansprache Dr. Sun Yat-sen, der beklagt hatte, "China sei der Sklave aller Länder gewesen". China habe wohl unter den kriegerischen Aktionen der ausländischen Mächte gelitten, aber der geistigen Größe Chinas habe dies keinen Abbruch tun können.

Österreich sei für diese Sammlung des klassischen Wissens Chinas außerordentlich dankbar. Als Querverbindung zu Österreich hob Dr. Marte hervor, daß die Sammlung Ssu-k'u ch'üan-shu hui-yao auch jenes Gedicht von Li Tai-po enthält, das der österreichische Komponist Gustav Mahler zum Anfang unseres Jahrhunderts als "Das Lied von der Erde" vertonte. Sektionschef Marte dankte aber auch dem Präsidenten des Instituts für chinesische Kultur in Wien, Universitätsprofessor Dr. Günther Winkler, der als Verbindungsmann zwischen der Republik Österreich und der Republik China das Zustandekommen der Schenkung ermöglichte.

Professor Winkler verwies in seinen Erklärungen auf die Gleichzeitigkeit der Regierungszeit der bekanntesten österreichischen Kaiserin, Maria Theresia, deren Vater die Hofbibliothek erbauen ließ, mit Kaiser Ch'ien-lung, der die Sammlung der klassischen chinesischen Bücher in Auftrag gab. Nicht ohne Dankbarkeit erwähnte Prof. Winkler die schützende Rolle des Palastmuseums in Taipei, denn, so fragte er sich, was wäre aus diesem kostbaren Kulturschatz geworden, wenn er die Wirren der Kulturrevolution in Festlandchina hätte durchstehen müssen?

Schließlich nahm der Direktor des Nationalen Palastmuseums, Prof. Chin Hsiao-yi nach einem musikalischen Zwischenspiel auf chinesischer Geige und Zither die Übergabe der 600 Bände an die Österreichische Nationalbibliothek vor. Professor Chin stellte den Anwesenden die kostbare Sammlung vor, die unter Kaiser Ch'ien-lung von über 300 Gelehrten und mehreren tausend Kalligraphen in zehnjähriger Arbeit zusammengetragen, neu geschrieben und editiert worden war.

Auf Vorschlag des Gelehrten Chu Yün wurden landesweit Bücher und andere wichtige Schriften gesammelt und die Gelehrten der Ch'ing Dynastie vereinten die damals als am bedeutendsten erachteten 3 471Bücher unter dem Titel Ssu-k'u ch'üan-shu, was soviel wie "Gesamtbibliothek der vier Kategorien" heißt. Ssu-k'u ch'üan-shu umfaßt 36 381 Bände und hat mehr als 4 758 700 Seiten. Alle wesentlichen klassischen Schriften Chinas sind hier versammelt, ein großer Verdienst um die Büchergeschichte und um die Wissenschaft.

Da auch diese Sammlung als zu umfangreich erachtet wurde, ließ der Kaiser in fünfjähriger Arbeit die wichtigsten Titel dieser "Gesamtbibliothek der vier Kategorien" selektieren und gab im Jahre 1778 die Enzyklopädie Ssu-k'u ch'üan-shu hui-yao heraus, die 1 310 934 Seiten in 11 180 Bänden unter 463 Titeln umfaßt. Die Enzyklopädie ist grob in vier Kategorien aufgeteilt:

Ching (經), Kanonische Werke: 173 Titel, 2 187 Bände
Shih (史), Historische Werke: 70 Titel, 3 455 Bände
Tzu (子), Philosophische Schulen und angewandte Wissenschaften: 81 Titel, 2 069 Bände
Chi (集), Literarische Werke: 139 Titel, 3 469 Bände

Diese Enzyklopädie wurde in nur zwei handgeschriebenen Originalsätzen angefertigt, wovon der einzige noch existierende im Nationalen Palastmuseum in Taipei verwahrt wird, während der zweite von den britisch-französischen Truppen 1860, während des T'ai-p'ing Aufstandes verbrannt worden war.

Das Palastmuseum hatte sich zur Herstellung einer fotomechanischen Reprintausgabe entschlossen, damit Sinologen und andere Experten Zugang zu diesem unentbehrlichen Werk der chinesischen Kultur hätten. Als Zeichen der kulturellen Zusammenarbeit zwischen der Republik China und der Republik Österreich erlaubte sich das Palastmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek eine Ausgabe das Ssu-k'u ch'üan-shu hui-yao zu schenken.

Frau Dr. Strebl fand bewegte Worte des Dankes für dieses überaus wertvolle Geschenk und überreichte Professor Chin und Professor Winkler je eine Goldmedaille der Österreichischen Nationalbibliothek, die zum ersten Mal an einen Spender für Österreichs größte Bibliothek verliehen wurde. Professor Winkler, der Initiator dieses Kulturaustausches, gab der Hoffnung Ausdruck, daß Wien, das international als Zentrum der Musik bekannt sei, nun, nach Erhalt dieser unschätzbaren Klassikersammlung, auch zu einem "Mekka der Sinologen" werden möge.

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